Die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre machte vor Bildung und Kultur freilich nicht halt. Dabei lagen die Ausgaben für das Bildungssystem bereits im Jahr 2010, also noch vor Inkrafttreten der massiven Sparmaßnahmen, mit 4,1% des Bruttoinlandsprodukts unterhalb des EU-Durchschnitts. Zum Vergleich: Estland 6,50%, Zypern 7,98%, Frankreich 5,89%, Dänemark 8,72% und Österreich 5,8% des BIP (Stand: 2009). Allein bis 2012 fielen die Bildungsausgaben auf 2,75 Prozent des Bruttoinlandprodukts und damit auf nur gut die Hälfte des eigentlich von der EU vorgesehenen Mindestprozentsatzes. Zu Bedenken ist außerdem, dass das griechische Ausbildungssystem immer schon in hohem Maße auf außerschulischen, privaten (Nachhilfe-)Unterricht – die so genannten „Frontisiria” – gesetzt hat. Bezieht man nun die finanzielle Lage der privaten Haushalte mit ein, verschärft sich das Bild einer veritablen Bildungsmisere: Fast jeder dritte Haushalt musste im Jahr 2012 mit einem Jahreseinkommen von unter 7.000 Euro auskommen. Seit 2008 haben die ärmsten Haushalte 86% ihres Einkommens verloren, die reichsten zwischen 17% und 20%. Laut einer Erhebung von UNICEF und Eurostat geht zudem hervor, dass über 25% der Haushalte ihren Kindern nicht die Teilnahme an Schulveranstaltungen finanzieren können. In kinderreichen Familien (ab 4 Kindern) geben sogar 65% der befragten Eltern an, ihre Kinder nicht an Schulausflügen teilhaben lassen zu können. Ähnlich sieht die Situation im Kulturbereich aus: hier wurde der Etat zwischen 2010 und 2013 ebenfalls um über 50% gekürzt. Mit nur einer einzigen Ministerialentscheidung wurden Anfang 2013 vierzig Musikschulen für immer geschlossen. Wenn nun Familien in sämtlich Lebensbereichen sparen müssen, dann ist es leider nicht verwunderlich, dass Kinder oft zuerst von ihren Musikstunden abgemeldet werden.

Das solidarische Konservatorium „Κοινωνικό Ωδείο” kämpft dagegen an, dass vielen jungen Menschen ein wesentlicher Teil ihrer Bildung verwehrt bleibt: Die Musikerziehung. In der Gründungserklärung des „Kinoniko Odio” heißt es: „Wir sind eine Gruppe von freiwilligen MusiklehrerInnen, die, vereint in ihrer Liebe zur Musik und ihrer Solidarität gegenüber den Mitmenschen, ein gemeinsames Ziel verfolgen: Jene kostenlos zu unterrichten, denen die finanziellen Mittel dazu fehlen.” In ihrer Erklärung stellen sie zudem fest, dass der Staat „unter den gegebenen Bedingungen” seiner Verpflichtung gegenüber der Erziehung in den Künsten nicht mehr nachkommen würde. Der freie und gleichberechtigte Zugang zur Bildung sei nicht mehr gewährleistet. „Im Kinoniko Odio versuchen wir, die Musikerziehung am Leben zu erhalten”, heißt es darin weiter. Und: „Wir lassen uns von der Krise nicht biegen.”

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Die Musikschule „Kinoniko Odio“ ist in einem mehrstöckigen neoklassizistischen Gebäude in einer ruhigen Seitenstraße im Stadtteil Vironas untergebracht. Maria, die in ihrem Berufsleben Opernsängerin ist und im „Kinoniko Odio“ in der Verwaltung arbeitet, erzählt, wie das Konservatorium in mühevollster Kleinstarbeit von LehrerInnen, SchülerInnen und deren Eltern gemeinsam renoviert wurde. An die 70 Lehrende unterrichten hier unentgeltlich etwa 100 SchülerInnen unter anderem am Klavier, an der Gitarre, der Geige und der Blockflöte. Außerdem probt hier auch eine Schauspielgruppe. Freitags verwandelt sich das Konservatorium in ein beliebtes Jazz-Café.

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Perikles hat seinen Unterricht für heute Nachmittag kurzerhand in den Innenhof des Konservatoriums verlegt. Nachdem Vasiliki und ihr Bruder Konstantinos das erste Stück geprobt haben, hält ihr Lehrer kurz inne und sagt dann, um das Lied „Thalasski” richtig zu lernen, wäre es wichtig seine Geschichte zu kennen. Perikles erzählt von dem gefährlichen Beruf der Schwammtaucher und wie sie oft für lange Zeit von zu Hause weg wären. Wenn die Seemänner dann nach Hause kämen, würden ihre Frauen zuerst auf den Mast des Schiffes blicken. Würden sie eine schwarze Flagge sehen, dann hätten es nicht alle nach Hause geschafft. Das war schon zu Odysseus Zeiten so, erklärt Perikles und wäre auch heute noch Schifffahrtstradition.

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Nach dem Unterricht zeigt Konstantinos mir noch das Instrument, auf dem er gerade gespielt hat. Es heißt „Tsambouna“ und ist eine Art griechischer Dudelsack aus Ziegenhaut, der seinen Ursprung auf den Kykladen während der Bronzezeit hat. Stolz erzählt er, wie er Teile der „Tsambouna“ selbst hergestellt hat. Vor allem für das „Epistomio”, das Mundstück, wäre viel Fingerspitzengefühl notwendig. Gemeinsam mit seiner Schwester Vasiliki, die auf der griechischen Trommel, dem „Toumbaki“ lernt, erhält Konstantinos seit einem Jahr im Kinoniko Odio Unterricht.

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Ortswechsel. Piräus. Schätzungen gehen davon aus, dass sich in Griechenland über eine Million MigrantInnen und Flüchtlinge – großteils ohne gültige Papiere – befinden. Seit Jahren schon kritisieren nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen die Bedingungen unter denen Asylsuchende hier leben müssen. Griechenland, als eines jener Länder, in dem viele Flüchtlinge zum ersten Mal europäischen Boden betreten, ist den jüngsten Flüchtlingsbewegungen aus Nahost und Afrika längst nicht mehr gewachsen. Es liegt auf der Hand, dass MigrantInnen – ob mit oder ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung – zu jener Gruppe von Menschen im Land gehören, die am stärksten vom Zugang zur Bildung ausgeschlossen werden. Auf diesen Missstand machte eine Gruppe von fünf LehrerInnen aus ganz Athen bereits im Jahr 2005 aufmerksam und gründete die A.S.M.P. (ΑΝΟΙΧΤΟ ΣΧΟΛΕΙΟ ΜΕΤΑΝΑΣΤΩΝ ΠΕΙΡΑΙΑ), die „Offene Schule für MigrantInnen in Piräus”. Heute sind es bereits 30 Lehrende, die hier mittlerweile 150 SchülerInnen an den Wochenenden gratis Unterricht in Griechisch geben. Aber nicht nur das, die A.S.M.P. organisiert auch zahlreiche Exkursionen, sowie Musik- und Tanzveranstaltungen, bei denen die MigrantInnen die Möglichkeit bekommen, ein Stück Kultur aus ihren Herkunftsländern präsentieren zu können.

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Zusätzlich zu ihrem Engagement in den Bereichen Bildung, Integration und Anti-Rassismus bietet die A.S.M.P. Asylsuchenden auch rechtliche Unterstützung. Nicht zuletzt aus diesem Grund nahm die Schule schon bald nach ihrer Gründung die Rechtsform eines Vereins an – eine Seltenheit unter den Solidaritäts-Initiativen, die sich meist ausschließlich auf ihre Selbstorganisation berufen. Die Frage, wie viele der SchülerInnen eine Aufenthaltsgenehmigung in Griechenland haben, kann Fotis, einer der Lehrer und Gründungsmitglied der A.S.M.P. nicht beantworten. Das Sekretariat würde diesbezüglich nicht genau Buch führen, meint er, sie würden hier nur ungern die Rolle der Polizei spielen. Außerdem befänden sie sich hier in einem rechtlichen Graubereich, da öffentliche Einrichtungen, wie es die Solidaritäts-Schule in Piräus ist, nicht ohne weiteres Personen ohne Asylstatus aufnehmen können. Dennoch bieten sie den SchülerInnen ohne Papiere an, ein Schreiben auszustellen, auf dem der Schulbesuch im A.S.M.P. bestätigt werde. Das sei zwar kein offizielles Dokument, es bestehe aber die Hoffnung, dass, sollten die SchülerInnen auf der Straße von der Polizei aufgehalten werden, diese vielleicht ein Auge zudrücken würde. Außerdem mache der Schulbesuch vor den Behörden immer einen guten Eindruck, fügt Fotis hinzu.

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Anna-Maria kommt aus der Dominikanischen Republik und ist schon seit vier Jahren in Griechenland. Ihr Griechisch, das sie sich großteils selbst beigebracht hat, ist bereits auf fortgeschrittenem Niveau. Da sie plant sich selbstständig zu machen, möchte sie ihre sprachlichen Kompetenzen noch weiter ausbauen und besucht deswegen seit diesem Semester einen Aufbaukurs. Sie träumt davon ein kleines Restaurant zu öffnen, wo sie traditionelle Speisen aus ihrer Heimat kocht und auch selbst hergestellte Kleidung und Kosmetika verkaufen kann.

Ihr Lehrer Janis belässt es nicht nur beim Sprachunterricht. Gerne macht er Exkurse in die Geschichte des Landes oder diskutiert mit seinen SchülerInnen aktuelle politische Themen.

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Ako kommt aus dem Irak und ist zur Zeit als Hilfsarbeiter am Bau beschäftigt. Er besucht den Kurs für AnfängerInnen und hofft dadurch später vielleicht einen besseren Job zu bekommen. Sein Lehrer Stelios ist der Bruder von Janis, der gerade den Fortgeschrittenen-Kurs im Klassenzimmer nebenan leitet. Die SchülerInnen schätzen das Engagement ihrer Lehrer sehr und sind mit ihnen teilweise auch privat befreundet.

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Als der Unterricht später am Abend für alle zu Ende geht, verlassen die meisten das Gebäude in größeren Gruppen. Ein junger Mann aus Afghanistan, der heute zum ersten Mal in die A.S.M.P. gekommen ist, fragt, ob es zur Zeit in der Gegend sicher sei. Seine Sorge ist nicht unberechtigt, denn erst vor zwei Monaten griffen Anhänger der neofaschistischen „Goldenen Morgenröte” nachts die Schule an. Zwar entstand dabei nur ein Sachschaden, die rassistischen Schmierereien an den Wänden verängstigten jedoch viele. Wie auch andere LehrerInnen bietet Janis an, ein paar der Schüler nach Hause zu fahren. Auch mich bringt er noch bis zur nächsten U-Bahn-Station.